Rund jeder elfte Mensch in Deutschland hat eine anerkannte Schwerbehinderung, wobei die Anzahl an Menschen mit Schwerbehinderung in den nächsten Jahren weiter steigen dürfte (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024). Allerdings haben arbeitslose Menschen mit Schwerbehinderung anteilig zu Arbeitslosen ohne Behinderungen häufiger eine abgeschlossene Berufsausbildung und sind gut qualifiziert (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024). Trotz der vergleichsweisen hohen Nachfrage nach neuen Arbeitskräften beschäftigt über ein Viertel (26 Prozent) der Arbeitgeber mit 20 und mehr Arbeitsplätzen in Deutschland dennoch keine Menschen mit Schwerbehinderung (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024). Diese Zahlen unterstreichen die Relevanz und das bisher kaum genutzte Potenzial einer verbesserten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben. Daher wird nachfolgend auf Basis aktueller Statistiken die Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschrieben.
Wie viele Menschen mit Behinderungen leben aktuell in Deutschland?
Endes des Jahres 2023 lebten rund 84,7 Millionen Menschen in Deutschland (Destatis, 2024a), von denen etwa 7,9 Millionen eine anerkannte Schwerbehinderung hatten, was einem Anteil von rund 9,3 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht (Destatis, 2024b). Die häufigste Ursache einer Schwerbehinderung mit knapp 91 Prozent ist eine im Lebensverlauf erworbene Krankheit (Destatis, 2024b). Vergleichsweise gering ist hingegen der Anteil von Menschen mit Behinderungen, die eine Behinderung seit der Geburt (3 Prozent) haben oder bei denen die Behinderungen durch einen Unfall oder eine Berufskrankheit (1 Prozent) verursacht wurden (Destatis, 2024b). Die anderen 5 Prozent ergeben sich durch übrige Ursachen. Dabei ist knapp die Hälfte der Menschen mit Schwerbehinderung zwischen 55 und 74 Jahre alt (Destatis, 2024b). Körperliche Behinderungen sind mit 58 Prozent besonders häufig, gefolgt von geistigen oder seelischen Behinderungen (15 Prozent) und zerebralen Störungen (9 Prozent) (Destatis, 2024b).
Begriffserklärung: Behinderung
In diesem Bericht wird gemäß § 2 SGB IX die Formulierung „Menschen mit Behinderungen“ verwendet. Allerdings wird hier stellenweise der Begriff „Menschen mit Beeinträchtigungen“ genutzt, wenn auf Daten des dritten Teilhabeberichts Bezug genommen wird, da dieser sich einer anderen Definition bedient.
Menschen mit Behinderungen: laut § 2 SGB IX: „Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“
Menschen mit Schwerbehinderung: Menschen, welche einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 haben (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024).
Menschen mit Beeinträchtigung: laut drittem Teilhabebericht Menschen, die aufgrund von Schädigungen der Körperstrukturen oder -funktionen in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind. Sie gelten nur dann als Menschen mit Behinderungen, wenn sie aufgrund ihrer Beeinträchtigungen in Wechselwirkung mit Barrieren nicht gleichberechtigt am Leben teilhaben können (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2021).
Wie viele Menschen mit Behinderungen sind derzeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt?
Um die Frage nach der Anzahl der beschäftigten Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu beantworten, sind vor allem drei Kennzahlen relevant: die Erwerbs-, die Erwerbstätigen- und die Erwerbslosenquote (Begriffserklärung folgt im Infokasten).
Begriffserklärung: Erwerbsleben
Erwerbstätige: Personen ab 15 Jahren, die während des gesamten Berichtszeitraums mindestens eine Stunde in der Woche eine bezahlte oder unbezahlte Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichtet haben.
Erwerbslose: Personen ohne Beschäftigung, die in den letzten vier Wochen aktiv nach einer Stelle gesucht haben und für eine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfügbar sind.
Erwerbsleben: Der Begriff des “Erwerbslebens” umfasst alle Erwerbspersonen, sowohl Erwerbstätige als auch Erwerbslose. Daraus resultiert die Erwerbsquote.
(Destatis, 2021)
Erwerbsquote von Menschen mit Behinderungen
Die Erwerbsquote von Menschen mit Schwerbehinderung lag 2021 bei 49,8 Prozent (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024). Das bedeutet, dass 2021insgesamt 3 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung im Alter von 15 bis 65 Jahren am Erwerbsleben beteiligt waren (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024). Gegenüber dem Jahr 2005 entspricht dies einer Steigerung von 8,2 Prozent. Trotz dieser positiven Entwicklung ist die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Schwerbehinderung mit 49,8 Prozent im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (78,7 Prozent) immer noch sehr gering (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024).
Erwerbstätigenquote von Menschen mit Behinderungen
Von den 3 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung, die 2021 am Erwerbsleben beteiligt waren, war etwas weniger als die Hälfte (47,5 Prozent) erwerbstätig (dargestellt in Abbildung 1). Ähnlich wie bei der Erwerbsquote kann auch bei der Erwerbstätigenquote in den letzten Jahren ein Anstieg verzeichnet werden (BMAS, 2021). Zwischen den Jahren 2009 und 2017 konnte die Erwerbstätigenquote von Menschen mit Behinderungen in Deutschland um 5 Prozent angehoben werden (BMAS, 2021). Lediglich bei Menschen mit chronischen Krankheiten, die im dritten Teilhabebericht als Menschen mit Beeinträchtigungen kategorisiert werden (dargestellt im Infokasten 1), wurde ein Rückgang von 2 Prozent beobachtet. Darüber hinaus zeigt die Statistik, dass die Erwerbstätigenquote von Menschen mit Behinderungen, die einen Migrationshintergrund haben, am niedrigsten war (BMAS, 2021).
Erwerbslosenquote von Menschen mit Behinderungen
Im Vergleich zur Erwerbs- und Erwerbstätigenquote unterscheidet sich die Erwerbslosenquote von Menschen mit und ohne Behinderungen nur geringfügig. Im Jahr 2021 lag die Erwerbslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung mit 3,9 Prozent nur knapp über der Erwerbslosenquote von Menschen ohne Behinderungen, die 3,7 Prozent betrug (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024). Ähnlich wie bei den anderen beiden Kennzahlen kann auch hier eine positive Entwicklung in den letzten Jahren verzeichnet werden, da die Erwerbslosenquote zwischen 2009 und 2017 für Menschen mit Behinderungen um drei Prozentpunkte gesenkt werden konnte (BMAS, 2021).
Abbildung 1: Erwerbstätigkeit und Erwerbslosigkeit von Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland in Prozent, 2021 (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024)
Wie hoch ist das Einkommen von Menschen mit Behinderungen und wie zufrieden sind sie mit ihrer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt?
Die Zahl der beschäftigten Menschen mit Schwerbehinderung ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024), doch ist auch das Lohngefälle zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen gestiegen. Verdienten Menschen ohne Behinderungen im Jahr 2014 durchschnittlich 0,76 Euro pro Stunde mehr als Menschen mit Behinderungen, waren es 2018 schon 1,38 Euro mehr (BMAS, 2021).
In Bezug auf die Arbeitszufriedenheit gab es ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen. So waren Menschen mit Behinderungen mit ihrer Arbeit weniger zufrieden als Menschen ohne Behinderungen. Sie gaben auf einer Zehnerskala einen Durchschnittswert von 6,4 an, wohingegen Menschen ohne Behinderungen eine durchschnittliche Zufriedenheit von 7,2 äußerten (BMAS, 2021).
Wie viele Arbeitgeber beschäftigen Menschen mit Behinderungen?
Arbeitgeber in privaten und öffentlichen Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind dazu verpflichtet, mindestens 5 Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung zu vergeben (BMAS, 2021). Wird diese Quote nicht erfüllt, müssen die Betriebe eine Ausgleichsabgabe zahlen, die für jeden unbesetzten Arbeitsplatz nach der Betriebsgröße und Höhe der Beschäftigungsquote gestaffelt ist (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024). Mit dem Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts wird ab dem Anzeigejahr 2024 eine vierte Staffel für Unternehmen eingeführt, die keine Pflichtarbeitsplätze besetzen (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024).
Im Jahr 2022 erfüllten 39 Prozent der 179.000 Arbeitgeber mit 20 und mehr Arbeitsplätzen die Beschäftigungspflicht, während 26 Prozent keine einzige der vorgeschriebenen Stellen besetzten (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024). Hierbei zeigen sich außerdem deutliche Unterschiede, je nach Größe der Unternehmen.
Arbeitgeber nach Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach Größenklassen der Unternehmen, 2022
*Als teilweise erfüllt gilt für viele kleine Unternehmen die Beschäftigungspflicht dann, wenn nicht das gesamte Jahr über ein Mensch mit Schwerbehinderung beschäftigt war.
Abbildung 2: Arbeitgeber nach Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach Größenklassen der Unternehmen, 2022 (Bundesagentur für Arbeit, 2024).
Arbeitgeber mit 20 bis 40 Arbeitsplätzen weisen zwar insgesamt die höchste Erfüllungsquote der Beschäftigungspflicht auf, gleichzeitig ist bei dieser Betriebsgröße allerdings auch der Anteil an Arbeitgebern am höchsten, die keine Pflichtarbeitsplätze besetzt haben (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024).
Wie kann das Projekt KI-Kompass Inklusiv dazu beitragen, die aktuelle Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern?
Die angeführten Statistiken zeigen deutlich, dass die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben erheblich geringer ist als von Menschen ohne Behinderungen. Eine Möglichkeit, diese Situation zu verbessern und Arbeitsplätze inklusiver zu gestalten, ist der Einsatz KI-gestützter Assistenzsysteme – so können die Teilhabe gestärkt und das vorhandene Potenzial genutzt werden.
Das Projekt KI-Kompass Inklusiv baut ein Kompetenzzentrum für KI und Inklusion in der Arbeitswelt auf, das niedrigschwellig, bedarfsorientiert und praxisnah bei der Erprobung und Einführung KI-gestützter Assistenztechnologien informiert, berät und unterstützt. Im Rahmen der Praxislabore mit Arbeitgebern und Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation wird zudem untersucht, wie KI-gestützte Assistenzsysteme Menschen mit Behinderungen beim Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützen können.
Mehr Informationen zum Projekt KI-Kompass Inklusiv und den Praxislaboren sind unter https://ki-kompass-inklusiv.de/praxislabore/ zu finden.
Literatur
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. (2021). Dritter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).
Destatis. (2021). Öffentliche Sozialleistungen. Lebenslagen der behinderten Menschen –Ergebnis des Mikrozensus 2019. Statistisches Bundesamt (Destatis).
Destatis. (2024a, Januar). Presse: Bevölkerung wächst im Jahr 2023 um gut 0,3 Millionen Personen. Statistisches Bundesamt (Destatis). Abgerufen am 5. September 2024 von https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_035_124.html
Destatis. (2024b, Juli). Presse: 7,9 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland. 9,3 Prozent der Gesamtbevölkerung haben eine schwere Behinderung. Statistisches Bundesamt (Destatis). Abgerufen am 5. September 2024 von https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/07/PD24_281_227.html
Statistik der Bundesagentur für Arbeit. (2024). Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt –Arbeitsmarktsituation schwerbehinderter Menschen 2023. Bundesagentur für Arbeit (BA).