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KI trifft Gebärdenprache: Wie Technologie barrierefreie Kommunikation ermöglicht

Künstliche Intelligenz eröffnet neue Möglichkeiten – besonders dort, wo Menschen bisher auf Barrieren stoßen. Ein Bereich mit enormem Potenzial ist die inklusive Kommunikation: Wie kann KI helfen, Verständigungslücken zu überbrücken, zum Beispiel zwischen gehörlosen und hörenden Menschen?

Interview mit Dr. Eleftherios Avramidis

Dr. Eleftherios Avramidis ist Senior Researcher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Dort forscht er im Bereich Sprachtechnologie mit dem Ziel, KI-Systeme barrierefreier und inklusiver zu gestalten.

Das DFKI ist die führende wirtschaftsnahe Forschungseinrichtung Deutschlands im Bereich innovativer Softwaretechnologien auf Basis Künstlicher Intelligenz. Es entwickelt in 26 Forschungsbereichen, zehn Kompetenzzentren und acht Living Labs auf Basis anwendungsorientierter Grundlagenforschung marktrelevante Technologien, Prototypen und patentfähige Lösungen. Zudem ist das DFKI einer der vier Verbundpartner des Projekts „KI-Kompass Inklusiv“.

Woran forschen Sie aktuell?

Dr. Eleftherios Avramidis: Derzeit arbeite ich mit künstlicher Intelligenz im Bereich mehrsprachiger Technologien, darunter auch Systeme zur automatischen Übersetzung von Gebärdensprache sowie Technologien zur Kommunikation zwischen gehörlosen bzw. schwerhörigen und hörenden Menschen.

Wir arbeiten zum Beispiel an einem Prototyp, der in beide Richtungen funktioniert und Gebärdensprache in gesprochene Sprache und umgekehrt übersetzen kann. Wie das Tool letztlich aussehen wird, hängt von den Vorlieben der Nutzer*innen ab. Es könnte beispielsweise in Mobiltelefone, Smart Wearables wie Augmented-Reality-Brillen oder Videotelefonie-Tools integriert werden. Ziel ist es jedoch nicht, Gebärdensprachdolmetscher*innen zu ersetzen, sondern eine nahtlose Kommunikation in Situationen zu ermöglichen, in denen keine Dolmetschenden verfügbar sind – was angesichts des derzeitigen Mangels an Dolmetscher*innen sehr häufig vorkommt.

Welche Fortschritte gibt es in diesem Projekt? Können wir in den nächsten Jahren schon mit einem marktreifen Produkt rechnen?

Dr. Eleftherios Avramidis: Ob wir schon bald ein funktionsfähiges Tool haben werden, ist schwer zu sagen, da die entsprechenden Technologien noch sehr früh in der Entwicklung sind. Gemeinsam mit unseren Partnern und anderen Forschenden weltweit haben wir bereits enorme Fortschritte erzielt. Wir konnten eine große Menge von Trainingsdaten sammeln, die für KI-basierte Gebärdensprachübersetzung erforderlich sind. Außerdem haben wir Methoden und Algorithmen entwickelt, um diese Daten zu verarbeiten und die Modelle zu trainieren. Dabei haben wir uns besonders auf diejenigen Elemente der Gebärdensprache konzentriert, die parallel zueinander wirken – etwa Handgesten, Mimik und Mundbewegungen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren erste Tools zur Verfügung haben werden, die die Kommunikation mit Gebärdensprache unterstützen – wenn auch zunächst nur für bestimmte Anwendungsfälle oder Sprachen.

KI hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Welche konkreten Anwendungsfelder sehen Sie in naher Zukunft – insbesondere im Bereich Inklusion?

Dr. Eleftherios Avramidis: Als hörende Person fällt es mir schwer, konkrete Aussagen für die Bedarfe gehörloser oder schwerhöriger Menschen zu treffen. Ich kann jedoch einige Ideen aus unserem Austausch mit verschiedenen Organisationen nennen: Dazu zählen Anwendungen für hörende Menschen zum Erlernen der Gebärdensprache sowie für gehörlose und schwerhörige Menschen zum Erlernen spezieller Fachbegriffe. Genauso barrierefreie Anwendungen für den Alltag – etwa bei Behördengängen oder Verwaltungsangelegenheiten, am Arbeitsplatz oder in sozialen Situationen. Auch politische Teilhabe, die Integration gehörloser Migrant*innen sowie die Berücksichtigung marginalisierter Gruppen wie People of Color oder LGBTQI-Personen sind wichtige Themen.

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Entwicklung KI-gestützter Assistenzsysteme?

Dr. Eleftherios Avramidis: Die größte Herausforderung besteht darin, Menschen aus der Community aktiv einzubeziehen. Da die Mehrheit der Forschenden im Bereich der Sprachtechnologie und öfter in der Forschung für die Technologie der Gebärdensprache hörend ist, besteht das Risiko, an den Bedarfen der eigentlichen Zielgruppe vorbei zu entwickeln. Deshalb binden wir Interessenvertretungen als Projektpartner ein.

Eine weitere Herausforderung ist die Finanzierung. Die Zielgruppe ist zahlenmäßig klein und das Prototypenstadium früh. Das macht es schwer, öffentliche oder industrielle Mittel einzuwerben. Hinzu kommt, dass viele Entscheidende nur wenig über Gebärdensprache und die Bedürfnisse gehörloser und schwerhöriger Menschen wissen. Ihnen ist beispielsweise oft nicht bewusst, dass geschriebene Sprache und Untertitel für die Zielgruppe eine Zweitsprache ist – und daher selbst eine Barriere darstellen kann.

Neben den Chancen, die KI zum Abbau von Barrieren und zur Förderung von Inklusion bietet, birgt es doch auch Risiken. Worauf müssen Forscher*innen, Produktentwickler*innen und Anwender*innen achten?

Dr. Eleftherios Avramidis: Eines der größten Risiken besteht darin, dass KI eine rein ingenieurwissenschaftlich geprägte Technologie ist. Die Zielgruppen sind in der Entwicklung unterrepräsentiert und es können dadurch nicht passende oder gar verletzende Lösungen entstehen. Auch Trainingsdaten können Vorurteile enthalten – besonders, wenn sie nicht auf die spezifische Community abgestimmt sind. Zudem können manche neuen Tools von den bestehenden Expert*innen in der Community und ihrem Umfeld als Bedrohung empfunden werden.

Darüber hinaus gelten auch die allgemeinen Risiken von KI: potenziell falsche Informationen durch fehlerhafte Ausgaben, fehlende Erklärungen, verschiedene Arten von Vorurteilen, Sicherheits- und Datenschutzprobleme sowie soziale Isolation.

Gibt es einen Ratschlag, den Sie Produktentwickler*innen und Anwender*innen mitgeben möchten? Was könnten Hindernisse sein?

Dr. Eleftherios Avramidis: Gestaltet gemeinsam mit der Community, nicht nur für sie. Vertrauen ist dabei zentral und entsteht durch Ehrlichkeit über Möglichkeiten und Grenzen.

Den Nutzer*innen würde ich raten, ihre Bedarfe klar und deutlich zu formulieren und die Tools kritisch kennenzulernen. Gehörlose und schwerhörige Menschen möchte ich ermutigen, sich weiterhin für einen barrierefreien Zugang zu Produkten und Dienstleistungen in ihrer Muttersprache einzusetzen. Zudem möchte ich alle relevanten Interessengruppen dazu aufrufen, die notwendigen strategischen Schritte und Investitionen entschlossen voranzutreiben.

Das Gespräch mit Eleftherios Avramidis zeigt: KI kann mehr als Prozesse automatisieren oder Sprache generieren. Richtig eingesetzt, kann sie Teilhabe ermöglichen. Vorausgesetzt, sie wird mit und für die Menschen entwickelt, deren Perspektiven bislang oft zu wenig berücksichtigt wurden.

Genau hier setzt auch KI-Kompass Inklusiv an: Mit einem bis 2027 entstehenden Kompetenzzentrum, das Akteur*innen aus Forschung, Entwicklung und Praxis vernetzt, unterstützen wir dabei, Assistenztechnologien so zu gestalten, dass sie berufliche Inklusion nachhaltig fördern. Denn nur wenn Barrieren erkannt und aktiv abgebaut werden, kann KI ihr volles gesellschaftliches Potenzial entfalten.

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